Ausgedörrt und frei liegt ein Kadaver auf dem schwarzen Stein und sieht die Zeit verstreichen. Zarte Triebe ranken sich über die Kanten des Marmors zu ihm hin, versuchen, ihn zu erreichen, während die Hitze sie zu braunem Geäst verdorren lässt. In großer Zahl strömen Menschen an den Seiten des Quaders vorüber, so schnell, dass ihr Fluss doch mehr einer unbeweglichen Wand gleicht. Den Gesichtern bleibt nicht die Zeit, zu verschwinden, bevor sie sich zuordnen lassen – sie schnellen bereits weiter, ehe sie überhaupt als solche zu erfassen sind. Ihre Anwesenheit äußert sich nur im Nichtabreißen der fleischigen Ströme rund um den Stein, die sich eigentlich an dessen Ecken gegenseitig über den Haufen rennen sollten bei so viel Masse. Was eine solche Kollision noch verhindert, warum die Menschen nicht wie explodierende Maden aus Maschinenpistolen in alle Richtungen schießen, ist unerklärlich. Vielleicht hat die geisterhafte Angst vor eben dieser Katastrophe ihre Körper ergriffen und schiebt sie klamm nickend aneinander vorbei, selbst dann noch, wenn sie geradezu ineinander stecken vor brühender Unbeholfenheit. Das ist bloße Reibungswärme, ein irres Fieber so gänzlich anders als die reine Hitze, die auf den Kadaver niederbrennt. Die Last seines Fleisches ist versengt, letzte schwarze Krumen bröseln noch von seinen Knochen. Er ist leicht, so leicht, dass er abheben könnte, wenn nur etwas die heiße Luft unter ihm hielte. Jetzt spürt er lediglich, wie sie entlang seines bleichweißen Marks verfliegt. Als er das Licht zum ersten Mal erblickt hat, sind seine Augen verbrannt, und in seiner klaren Schwärze erinnert er sich gerne an diesen Moment. Der Stein, die Ranken, alles war schon da, als er seinen Körper aus der Masse gezerrt hatte, als die Verzweiflung dieses Anblicks von Fleisch und Chaos seinen Blick in den weißen Himmel trieb, einen Blick nur, von dem er sich nicht mehr lösen konnte, bis ihn die säubernde Pein vollends umfangen hatte. Der Marmor flimmerte damals schon in der Hitze und verbrennt ihn jetzt noch von unten. Dieses Brennen und Leuchten pulsiert nicht und schlägt nicht, es ist da, seit sein Körper auf dem Stein niederging, und hat alles in ihm ausgemerzt, was da schlug und pulsierte. Hat ihn zu der Ruhe gebracht, mit der er jetzt verstreut liegt und wartet, bis es ihn erreicht. Das Bild von den Ranken, die sich mit ihrem kühlen Schatten über die Ränder des Steins beugen, schwebt ihm noch vor den Augenhöhlen. Wenn sie nur weiter gewachsen sind, kann er sie bald mit seinen knochigen Fingern ergreifen und festhalten, bis sie ihn durchwuchern und mit neuem Leben füllen. Das ist die Hoffnung, mit der sein grinsender Schädel auf dem Stein verharrt. Eine Saat, die in seiner regungslosen Leere aufkeimt und ihn erhebt, die den Raum mit neuen Sinnen füllt, einen neuen Raum abseits der strömenden Menschen. Ein Wachstum, das die Hitze nicht fürchtet und aus dem Licht seine Energie zieht, um eine fruchtbare Welt voller Grün und Wasser zu schaffen, gegen das die verpestete chlorierte abgestandene Brühe der Menschen nur erbärmliches Gift ist. Ein Geflecht von wahr gewordenen Träumen, das selbst aus einem Stein noch sprießt und ihn mit glückseliger Ruhe bedeckt. Eine Seele, ungespalten und frei, die alles ausfüllt, was es geben kann. Das erahnten seine Augen, bevor sie verbrannten, und er will es erwarten. Er weiß, die Menschen sind bald verrottet, ihre Gesichter im Wind zerfleddert und ihre Körper von innen zerfressen. Dann gibt es nichts mehr, was ihn noch von diesem Stein zerren und Fleisch zwischen seine Knochen pumpen könnte. Solange aber das Beben der Schritte den Kadaver noch erschüttert, verharrt er in seiner stillen Hitze. Niemand beachtet ihn. Den Gesichtern bleibt nicht einmal die Zeit, ihn zu ignorieren – sie sind bereits fort, ehe sie ihn erfassen können. Seine Anwesenheit äußert sich nicht mehr, die blanken Knochen kauern in der Hitze. Was verzehrt werden konnte, ist verzehrt, alles Lebendige aufgegeben. Nur die Hoffnung haucht noch durch das Gerippe, während sie allmählich in ihre eigene Ewigkeit hinübergleitet.